Berlin - Idlib

Am Nachmittag des 25. März bekomme ich eine Nachricht, die nichts mit Corona zu tun hat. Sie kommt aus Berlin und aus Idlib, und es ist eine gute Nachricht. Der Verein Syrienhilfe e.V. hat ein Video geschickt, das zeigt, dass zwei von vier Container in Idlib angekommen sind. Container mit Sachspenden: Rollstühlen, Kinderfahrrädern, Kleidern, Kuscheltieren und vielem mehr. 

Die Nachricht ist eine wichtige Botschaft. Wichtig in mehrerlei Hinsicht. Wir kennen alle die Bilder von den unglaublichen Zuständen in Syrien. Wir wissen alle, dass dort auch während Corona-Zeiten Hilfe nötig ist. Und es gibt ein Leben jenseits von Corona und Nachrichten die über das Thema Corona hinausgehen. Das müssen sie auch, vor allem in Zeiten wie diesen. Und es zeigt mir, wie unterschiedlich im Augenblick Vorstellungen von Katastrophen sind und was es bedeutet privilegiert zu sein, obgleich die Bedeutungen dieser Begriffe sich derzeit ständig verschieben.

 

Anfang Januar hatte meine Freundin mit ihrem Verein Syrienhilfe e.V. einen Spendenaufruf gestartet, der über die sozialen Netzwerke verbreitet wurde. Um Sachspenden aller Art wurde gebeten: von Kleidern über Schulranzen bis zu Hygieneartikeln. Auch wir haben gesammelt und die Anfrage weitergeleitet. Es gab ein enormes Echo und Mitte Februar habe ich mit Freunden, meiner Ältesten und ihrer Freundin in zwei Autos mehrere Kartons in die Aufnahmestelle gebracht. Es war überwältigend was dort bereits angekommen war und was im Laufe des Vormittags noch gebracht wurde. Wir halfen ein wenig beim Sortieren der Spenden. Alles wurde in weiße Säcke gepackt, beschriftet und verschlossen. Keiner kannte den anderen. Wir sprachen nicht immer die gleiche Sprache. Aber gemeinsam für eine Sache zu arbeiten, verband uns für diese kurze Zeit wortlos.

Aus einem geplanten wurden vier Container. Die Bilder des Videos zeigen den ungeheuerlichen Transfer in einer Zeit in der innerhalb kürzester Zeit wegen covid-19 Länder ihre Grenzen schlossen. Ein Transport von Berlin nach Idlib: Mit einer Spedition von Berlin nach Hamburg. Ab Hamburg mit dem Schiff nach İskenderun in der Türkei. Und dann mit einem LKW-Konvoi nach Idlib. 

Ich schaue das Video mit meiner Familie an. Wir erkennen die weißen Säcke wieder. Meine Älteste sagt: Das Fahrrad habe ich gesehen. Nicht nur Rollstühle, Fahrräder oder Kleidung sind angekommen, auch der kleine Papagei mit dem roten Schnabel hat diesen langen Weg geschafft – von seinem Platz zwischen anderen Teddybären auf einem Sofa in Berlin, wie es ein Facebookeintrag des Journalisten Lutz Jäkel bezeugt, in die Obhut eines kleinen Mädchens in Idlib. Die Bilder berühren. Sie berühren auch, weil die Musik, die die Bilder untermalt von der Sehnsucht nach der Heimat handelt. „Mautini – meine Heimat“, heißt dieses populäre Lied, das hoch politisch ist. Es beschwört das fragile Konstrukt von Heimat. „Mautini – Meine Heimat“ ist derzeit für viele – und keiner weiß wie lange noch – ein Sehnsuchtsort. Dieser Ort hängt in Bildern fest, er fliegt in den Tönen der Flöte über Hügel und Berge. So wie die Musik sich für einen Moment über die Grenzen des Exils hinwegbewegt hat, so bilden die Bilder des Videos, das meine Freundin geschickt hat, ebenfalls eine Bewegung ab. Der Unterschied ist nur, dass hier tatsächlich etwas transportiert wurde UND angekommen ist. Es ist ein Transport in die Heimat. Das bewegt mich sehr. Aber ich hänge der Frage nach, ob und was das für eine Heimat ist, für die, die noch dort sind.